Der Begriff Achtsamkeit ist meiner Meinung nach vielschichtig. Ich glaube Achtsamkeit ist aber primär eine Haltung und keine Technik, auch wenn man zur Etablierung von Achtsamkeit in seinem Leben, Methoden und Techniken nutzt. Wenn ich mir die Diskussionen, die Angebote für Führungskräfte und die Fachartikel zu dem Thema im überwiegend professionellen Umfeld anschaue, fühle ich mich an Stephen R. Covey erinnert. Er schrieb schon in Die 7 Wege zur Effektivität (The 7 habits of highly effective people) im Jahr 1989, dass er im Rahmen seiner Nachforschungen zu den Faktoren von Erfolg in der Literatur eine Entwicklung des Begriffs und des empfohlenen Vorgehens zur Erreichung von Glück über die Zeit bemerkt hat. Die Fachliteratur bezog sich in den frühen Jahren auf eine “Charakter Ethic” (Charakterethik) als grundlegende Voraussetzung für Erfolg. Prinzipien wie Integrität, Demut, Einfachheit, Fairness, Bescheidenheit , Liebe, Mut, Gerechtigkeit und die Goldene Regel („Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst“) wurden als Garant für ein zufriedenes, erfolgreiches und glückliches Leben angesehen. Der Erfolg sei nur durch die Integration dieser Prinzipien in den unseren innersten Kern möglich. Doch kurz nach dem Ersten Weltkrieg verlagerte sich der Schwerpunkt von der Charakter Ethik zu einer “Persönlichkeitsethik” (Personality Ethic). In der neueren Zeit wurde die Persönlichkeit eines Individuums als die treibende Kraft hinter dem Erfolg beschrieben und der Schwerpunkt lag eher auf der Veränderung der Wahrnehmungen von uns durch andere. Die Persönlichkeitsethik bezog sich auf das sozialen Images, bot Techniken und Patentlösungen, soziale Pflaster und Aspirin für akute Probleme. Nach Coveys Einschätzung können diese Methoden der Persönlichkeitsethik aber nur vorübergehend helfen, aber die grundlegenden, chronischen Wunden würden weiter schmerzen und immer wieder aufbrechen.
Ganz in der Tradition der Persönlichkeitsethik habe ich das Gefühl, dass im Zusammenhang von Achtsamkeit häufig nur von Techniken gesprochen und diese gelehrt werden. Es geht darum sich selbst und seine Mitarbeiter besser zu organisieren, Teams erfolgreicher zu machen und daraus resultiert dann die Zufriedenheit und die Ruhe. Im Vordergrund steht das Außen. Ich glaube aber das ist nicht der Kern des Themas, meiner Meinung nach geht es um die im Sinne der Charakterethik Etablierung des Prinzips der Achtsamkeit in unserem innersten Charakter. Ohne die notwendige Einstellungen und Haltung wird alles Meditieren, all die Anwendung von Gesprächsleitfäden und all der anderen Methoden nicht zur Achtsamkeit und damit nicht zum Glück, Zufriedenheit, Effizienz und innerer Ruhe führen. Es sind dann nur weitere Manipulationsmethoden die dem Selbstbetrug und dem Vortäuschen falscher Tatsachen gegenüber anderen dient. Ganz nach dem Motto, “schaut her wie achtsam ich bin, ich bin ein Guter” und für sich selbst glaubt man jetzt steht meinem Erfolg nichts mehr im Wege. Das ist nur eine weitere Methode mit pseudospirituellen Gehabe und vorgetäuschtem Verständnis für seine Mitmenschen um sein eigenes Ego zu füttern, andere zu manipulieren und nach einiger Zeit die Methode als falsch, lächerlich und unbrauchbar abzutun und um dann auf den nächsten “hippen” Trend der Glück und Zufriedenheit stiftenden Literatur aufzuspringen. Ein aufgesetztes Lächeln kann man antrainieren, echte Freundlichkeit entsteht nur, wenn ich in Kontakt bin mit mir und meinen Talenten bin. So wie es Covey sagt, “von innen nach außen“.
Jetzt habe ich dargelegt, was ich glaube, was Achtsamkeit nicht ist. Aber was denke ich, was Achtsamkeit ist? Ich würde dazu gerne mit einer Auswahl von Definitionen und Beschreibungen von Achtsamkeit von relevanten Personen beginnen:
“Achtsamkeit beinhaltet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen.” Prof. Dr. Jon Kabat-Zinn, Meditationslehrer und Stressforscher
“Achtsamkeit heißt jeden Augenblick des täglichen Lebens tief zu berühren. Achtsam sein, bedeutet wahrhaft präsent zu sein, mit Körper und Geist, so dass wir unsere Absichten und Handlungen in Harmonie bringen und auch in Harmonie sind mit anderen Menschen.” Thich Nhat Hanh, vietnamesischer buddhistischer Mönch, Schriftsteller und Lyriker
“Wenn wir uns daher, sooft von Achtsamkeit die Rede ist, nicht auch in unserem Herzen angesprochen fühlen, werden wir mit großer Wahrscheinlichkeit das Wesentliche verfehlen.” Prof. Dr. Jon Kabat-Zinn
Aus den dargestellten Beschreibungen von Achtsamkeit geht also hervor, dass sie mit folgenden Eigenschaften charakterisiert werden kann
- mit allen Sinnen im gegenwärtigen Moment sein
- Bewusst in Verbindung mit sich und anderen zu handeln
- ohne zu beurteilen
Das ist für mich der Kern der Achtsamkeit. In nachfolgenden Posts will ich nun darlegen wie ich glaube, wie man Achtsamkeit im Projektmanagement etablieren kann. Aus den Punkten ist aber auch ersichtlich, dass es unmöglich ist, Achtsamkeit nur in seinem Projekt zu umzusetzen ohne den Rest des Lebens zu beeinflussen.